Hebammen-FAQ
Hier beantworten wir Fragen über unseren Beruf, die uns Hebammen immer wieder gestellt werden. Viel Freude beim Lesen!
Was macht eine Hebamme eigentlich?
von Tina und Fabienne
Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten Frauenberufe der Welt. Schon immer haben Frauen anderen Frauen beim Gebären beigestanden und geholfen. Das ist aber nur eine von vielen Aufgaben in der Hebammenarbeit! Frauen und Familien können während der gesamten Zeit von Familienplanung bis zum Ende der Stillzeit Hebammenhilfe in Anspruch nehmen. Dieser Zeitraum kann sich über mehrere Jahre erstrecken.
Abbildung 1: Betreuungsbogen. Darstellung nach Sayn-Wittgenstein 2007, S.24[1] und Verbund Hebammenforschung, https://www.hebammenforschung.de/#c18359, zuletzt abgerufen am 27.04.2024
Familienplanung: Du möchtest schwanger werden? Eine Hebamme kann dich beraten, wie du dich und deinen Körper auf eine Schwangerschaft vorbereiten kannst. Sie kann dir erklären, wie Menstruation und Befruchtung funktioniert und wann du „fruchtbar“ bist.
Schwangerschaft: Du bist schwanger? Vielleicht bist du dir auch noch nicht sicher? Eine Hebamme kann dir helfen, deine Schwangerschaft und den Geburtszeitraum festzustellen. Sie kann dir deinen Mutterpass ausstellen. Hebammen bieten auch Schwangerenvorsorge nach den Mutterschaftsrichtlinien an. Außerdem unterstützt sie dich bei jeglichen Beschwerden oder Fragen. Ein Geburtsvorbereitungskurs kann dich und deine Partnerin/ deinen Partner auf die Geburt vorbereiten.
Wehen & Geburt: Du hast Wehen? Deine Fruchtblase ist geplatzt? Fängt die Geburt schon an oder nicht? Das und alles, was mit Geburt zu tun hat, weiß eine Hebamme. In Deutschland gibt es eine Besonderheit: Bei jeder Geburt muss eine Hebamme anwesend sein (§ 4 HebG). Die Geburt endet mit der vollständigen Geburt der Plazenta (Mutterkuchen).
Wochenbett: Das Wochenbett schließt direkt an die Geburt an. Es dauert sechs bis acht Wochen. Es ist gekennzeichnet durch die Verarbeitung der Geburt, Wochenfluss, hormonelle Umstellungen, Rückbildung, Verheilung, Schlafmangel, Aufbau einer Stillbeziehung, vielen Fragen und Unsicherheiten bezüglich des Kindes, einer neuen Sexualität etc. Es bezeichnet eine große lebensverändernde Umstellung – besonders beim ersten Kind. Eine Hebamme kommt zum Hausbesuch und beantwortet Fragen, überwacht die Gewichtszunahme des Kindes und den gesamten Gesundheitszustand von Mutter und Kind. Die Überwachung des Wochenbettverlaufs ist eine den Hebammen vorbehaltene Tätigkeit (§ 4 HebG).
Stillzeit: Nach Empfehlung der WHO sollen Kinder mindestens im ersten halben Jahr voll gestillt werden.[2] Zeigt ein Kind an, dass es nicht mehr nur Muttermilch trinken möchte, berät die Hebamme bei der Einführung von Beikost. Die Empfehlung der WHO besagt weiter, dass Kinder die ersten zwei Jahre weiterhin teilgestillt werden sollten.[2] Der Anspruch auf Hebammenhilfe endet, wenn das Kind abgestillt wurde.
Hebammen arbeiten vor allem gesundheitsfördernd und präventiv. Das bedeutet, sie tragen dazu bei, dass Krankheiten vorgebeugt oder früh erkannt werden.
Die französische Hebamme Willy Belhassen sagt: „Hebammen haben eine wichtige Mission: Die Gesundheit der Schwangeren, der Babys und der gesamten Bevölkerung liegt schließlich in ihren Händen.“[3]
[1] Sayn-Wittgenstein, Friederike zu (Hg.) (2007): Geburtshilfe neu denken – Bericht zur Situation und Zukunft des Hebammenwesens in Deutschland. Berlin: Hans Huber.
[2] https://www.who.int/health-topics/breastfeeding#tab=tab_1 (zuletzt abgerufen am 27.04.2024)
[3] https://www.youtube.com/watch?v=6Ch_t-bbO2c&ab_channel=ARTEde (zuletzt abgerufen am 29.04.2024)
Welche Betreuungskonzepte gibt es?
von Lisa
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, als Hebamme zu arbeiten. Fast alle Modelle sind miteinander kombinierbar.
- Angestellte Hebamme im Kreißsaal, auf einer Wochenbettstation oder beides kombiniert (Schichtarbeit)
- Angestellte Hebamme in einer gynäkologischen Praxis (keine Schichtarbeit)
- Dienst-Beleghebamme: Die Hebammen im Kreißsaal sind als Team selbstständig und arbeiten abwechselnd in Schichten
- 1:1-Beleghebamme (Begleit-Beleghebamme): Die Hebamme ist selbstständig und betreut im Kreißsaal nur „ihre eigenen“ Frauen, ist also nur im Kreißsaal, wenn eine „ihrer“ Frauen ihr Kind bekommt. Meist 24/7-Rufbereitschaft.
- Geburtshaushebamme: Diese Hebamme betreut Geburten im Geburtshaus und ist meistens selbstständig. Es gibt Geburtshäuser mit 24/7-Rufbereitschaft/ Dienstplänen/ Teams etc.
- Hausgeburtshebamme: Die Hebamme bietet Geburten im „häuslichen Umfeld“ an und ist selbstständig, meistens 24/7-Rufbereitschaft, manchmal in Teams oder mit Dienstplänen.
- Selbstständige Hebamme ohne Geburtshilfe: Die Hebamme bietet mindestens eine der folgenden Leistungen an: Betreuung während der Schwangerschaft, dem Wochenbett und in der Stillzeit, Geburtsvorbereitungskurse und Rückbildungskurse etc. Auch diese Hebamme kann mit einer gynäkologischen Praxis kooperieren.
Es gibt mit Sicherheit noch mehr Modelle. Sie können fast alle miteinander kombiniert werden, z.B.:
- Eine fest angestellte Hebamme kann parallel freiberuflich tätig sein, nur Kurse geben oder zusätzlich Beleggeburten anbieten.
- Eine Hausgeburtshebamme oder 1:1-Beleghebamme betreut in vielen Fällen „ihre“ Gebärende auch in Schwangerschaft und Wochenbett.
- Eine Hebamme kann genauso entscheiden, ausschließlich Kurse zu geben oder in einer gynäkologischen Praxis Vorsorgen anzubieten.
Wie werden wir bezahlt?
von Fabienne
Hebammen werden in Deutschland grundsätzlich nicht angemessen bezahlt, egal, ob sie angestellt sind oder freiberuflich arbeiten. Wie die Bezahlung konkret aussieht, soll hier beispielhaft anhand des Verdiensts pro Geburt gezeigt werden:
Selbstständige Hebammen bekommen eine Vergütung, die sich folgendermaßen aufteilt:
Für Geburtsbetreuung bis eine Stunde vor der Geburt erhält eine Hebamme einen halbstündlichen Satz von 21,74 €, also 43,48 € pro Stunde vor Abzug aller Pflichtausgaben.
Eine Stunde vor der Geburt und drei Stunden danach werden durch die Geburtspauschale vergütet, die je nach Betreuungskonzept der Hebamme unterschiedlich hoch ausfällt.
Abbildung 1: Eigene Darstellung. Aufteilung der Vergütung von freiberuflichen Hebammen bei Geburtsbetreuung.
Die folgende Abbildung zeigt die Höhe der Geburtspauschalen abhängig von dem Betreuungskonzept vor und nach Abzug aller Pflichtausgaben. Hier rechnen wir optimistisch nur mit Abzügen von 50 %:
Abbildung 2: Eigene Darstellung. Geburtspauschale – Vergütung von Hebammen pro Geburt; „brutto“ linke Säule, „netto“ rechte hellere Säule.
1:1-Beleghebammen, Geburtshaushebammen und Hausgeburtshebammen können für jeden Monat ca. drei bis vier Frauen annehmen, was in etwa einer Vollzeitstelle entspricht. Der Verdienst ist allerdings nicht gesichert, weil Frauen unter anderem Komplikationen in der Schwangerschaft entwickeln können, wie beispielsweise eine Frühgeburt, womit eine außerklinische Geburt nicht die geeignete Versorgung darstellt. Für die Hebamme entsteht ein Verdienstausfall.
Ein weiteres Problem ist die Haftpflichtversicherung. Diese beträgt pro Monat aktuell mehr als 1.000 €. Für eine 1:1-Beleghebamme ergibt sich zum Beispiel bei vier Frauen ein erhoffter Verdienst von 821,52 €. Nach Abzug aller Pflichtausgaben liegt dieser ca. bei 410,76 €. Bei einer Haftpflichtversicherung von 1.000 € macht eine 1:1-Beleghebamme für die Betreuung von Geburten somit fast 600 € minus.
Hier außen vor gelassen ist der Stundensatz, den eine Hebamme für die Betreuung der Gebärenden bis eine Stunde vor die Geburt bekommt. Dieser beläuft sich auf 21,74 € je halbe Stunde, also ein Stundensatz von 43,48 €. Nach Abzug aller Pflichtausgaben liegt dieser bei 21,74 €. Zu bedenken gilt, dass eine Hebamme die Verantwortung für zwei Leben trägt. Dieser Stundensatz ist nicht im Mindesten angemessen für die Last der Verantwortung und zeigt keine Wertschätzung gegenüber Hebammen, Frauen, ihren Kindern und Familien.
Angestellte Hebammen werden auch nicht unbedingt besser bezahlt: Häufig werden angestellte Hebammen mit der Entgeltgruppe P8 nach TvöD entlohnt. Einige Häuser vergüten die Arbeit mit der Entgeltgruppe P9. Dazu kommen Schichtzulagen. Auf Stufe 2 würde eine Hebamme nach P8 ohne Schichtzulagen 3.490,00 € brutto verdienen.[4] Mit Steuerklasse 1 sind das 2.324,95 € netto.
Eine angestellte Hebamme begleitet nach einer Schätzung von 2020 etwa 120 Geburten pro Jahr, Tendenz steigend.[5] Das sind ungefähr zehn Geburten pro Monat. Angestellte Hebammen haben viele verschiedene Aufgaben und bekommen ein festes Gehalt. Würde man alle anderen Aufgaben ausblenden und das Gehalt nur auf die Geburten aufteilen, die sie statistisch durchschnittlich begleiten, würde man bei einem Verdienst von etwa 2.300 € netto auf etwa 230 € je Geburt kommen (siehe Abbildung 2). Blendet man die übrigen Aufgaben wieder ein, wird sich die Vergütung weiter reduzieren. Das ist natürlich ein nicht gleichwertig vergleichbares Gedankenkonstrukt, ist aber einer Überlegung wert.
Ebenfalls zu bedenken ist die Rufbereitschaft, die sowohl angestellte, als auch selbstständige Hebammen betreffen kann. Rufbereitschaft wird von den Krankenkassen nicht bezahlt. Einige Krankenkassen übernehmen mittlerweile einen Teil der Rufbereitschaftspauschale, den die Hebammen Eltern privat in Rechnung stellen.
Die weitere Vergütung von selbstständigen Hebammen, wie Kurse und Wochenbettbesuche, ist ebenso nicht angemessen. Wochenbettbesuche werden mit einer Pauschale von 40,38 € vergütet, unabhängig von der Dauer. Nach Abzug aller Pflichtausgaben bedeutet das pessimistisch gerechnet etwa 10 € für eine halbe bis anderthalb oder sogar zwei Stunden Arbeit und die Verantwortung für das Wohlbefinden von zwei oder mehr Personen in einer besonders sensiblen Phase. Wochenbettbesuche sind nicht unbedingt im Voraus planbar, da sie unmittelbar auf die unplanbare Geburt folgen und der Bedarf der Familien sehr unterschiedlich sein kann.
Für einen Kurs erhält eine Hebamme 8,36 € pro Frau bei maximal zehn Frauen. Das sind nach Abzug aller Pflichtausgaben ca. 42 € pro Kursstunde, aber nur wenn der Kurs voll belegt ist und alle Frauen zu den Kursstunden kommen. Von der Vergütung bleibt nach Abzug der Raummiete und Kursmaterialien nicht mehr unbedingt viel übrig.
Auch für eine U1, die Erstuntersuchung des Neugeborenen nach der Geburt erhält eine Hebamme nur 11,06 € vor Abzug aller Pflichtausgaben.
Es gibt einige Tätigkeiten, für die freiberufliche Hebammen sogar gar nicht bezahlt werden, wie beispielsweise schon genannt die Rufbereitschaft oder Absprachen mit Kinderärztinnen, Frauenärztinnen, Frühen Hilfen, Sozialarbeiterinnen… oder das Wegegeld, wenn eine Frau weiter weg wohnt als 25 km.
Warum sind so viele Hebammen frustriert?
Die folgende Abbildung vergleicht die Geburtspauschale mit alltäglichen Ausgaben:
Die durchschnittliche monatliche Kaltmiete für eine 70 m²-Wohnung kostete 2022 599 €.[6] Die monatlichen Ausgaben für Lebensmittel betrugen im Jahr 2022 im Durchschnitt 426,90 €.[7] Eine Tankfüllung für 60 Liter Diesel kostet im März 2024 60 L x 1,74 € = 104,40 €.[8] Ein gewöhnlicher Esszimmerstuhl bei Porta kostet 220 €.[9] Eine Jeans bei Levis kostet 120 €.[10] Ein Pullover bei Tom Tailor kostet ca. 60 €.[11]
Abbildung 3: Eigene Darstellung. Vergleich alltäglicher Ausgaben mit der Geburtspauschale nach Abzug aller Pflichtausgaben von freiberuflichen Hebammen.[6][7][8][9][10][11]
Wir stellen fest: Von der Betreuung einer Geburt kann sich eine Hebamme nicht mal eine Tankfüllung leisten???
Die Frage ist, welcher Schlüsseldienst oder welcher Handwerker das Haus für eine Vergütung von 10 € verlässt? Wer ist 24/7 rufbereit und unterbricht seinen Alltag sofort nach einem Anruf? Was verdient eine Ärztin pro Blinddarmoperation, ohne Verantwortung für zwei Leben zu tragen?
Doppelte Verantwortung für ein halbes bisschen Bezahlung!
Was könnt ihr konkret für Hebammen tun?
[4] https://www.oeffentlichen-dienst.de/entgelttabelle/tvoed-p.html (abgerufen am 21.03.2024)
[5] https://www.aerzteblatt.de/archiv/214660/Geburtshilfe-Doch-kein-Hebammengesetz (abgerufen am 21.03.2024)
[6] https://www.statistikportal.de/de/mieten (abgerufen am 21.03.2024)
[7] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Konsumausgaben-Lebenshaltungskosten/_inhalt.html#234840 (abgerufen am 21.03.2024)
[8] https://www.adac.de/verkehr/tanken-kraftstoff-antrieb/ausland/spritpreise-ausland/ (abgerufen am 21.03.2024)
[9] https://porta.de/p/mondo-esszimmerstuhl-amati-st-3-f-lederlook-orange-1000952.48 (abgerufen am 21.03.2024)
[10] https://www.levi.com/DE/de_DE/bekleidung/damen/jeans/gerader-schnitt/501-90s-lightweight-jeans/p/A84210002 (abgerufen am 21.03.2024)
[11] https://www.tom-tailor.de/rollkragenpullover-frauen-1037786_32403 (abgerufen am 21.03.2024)
Haftpflichtversicherung? Sicherstellungszuschlag? Was ist das?
von Lotta
Wenn wir als freiberufliche Hebammen Menschen kennenlernen und von unserer Arbeit erzählen, ist eine der ersten Fragen oft: „Gab es da nicht so ein Problem mit der Haftpflichtversicherung?“
Ja, richtig!
Als die Beiträge für die Haftpflichtversicherung im Jahr 2010 deutlich zu steigen begannen, war dies ein präsentes Thema in der Öffentlichkeit. 2015 hat sich das Problem offiziell gelöst: Der Sicherstellungszuschlag wurde eingeführt. Inoffiziell gibt es das Problem weiterhin und es verschärft sich stetig.
Warum überhaupt eine Haftpflichtversicherung?
Eine selbstständige Hebamme muss eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen, sobald sie Leistungen für Mutter und Kind anbietet. Schließt sie keine ab, kann sie ihre Leistungen nicht mit den Krankenkassen abrechnen.
Kommen Mutter und/ oder Kind während der Betreuung zu Schaden, werden die auftretenden Kosten von der Haftpflichtversicherung übernommen. Besonders hoch sind die Versicherungsprämien für Hebammen, die Geburtshilfe anbieten. Die Prämien steigen jährlich um mehrere hundert Euro.
Warum ist das so?
Die Versicherungsbeiträge steigen nicht, weil es immer mehr Schadensfälle gibt. Sie steigen, weil die Kosten pro Schadensfall steigen: Die medizinischen und therapeutischen Möglichkeiten werden mit der Zeit (ein Glück) umfangreicher und vielfältiger und ermöglichen Geschädigten mittlerweile ein anderes Leben als vor zwanzig Jahren.[12]
So haben sich die Prämien für selbstständige Hebammen mit Geburtshilfe entwickelt:
1981 bezahlte eine Hebamme pro Jahr eine Prämie von 30,68 €. 2010 kostete die Versicherung über den Deutschen Hebammenverband jährlich bereits 3.689 €. Diese Steigerung setzt sich seither Jahr für Jahr fort, allein von 2022 auf 2023 betrug sie 9,3 %. Seit Juli 2023 liegt die jährliche Prämie bei 12.659,28 €. Monatlich sind das etwa Kosten von 1054,94 €. Ab Juli 2024 werden die Prämien ca. bei 1.137 € pro Monat liegen.
Freiberuflich Geburtshilfe anzubieten, wird finanziell immer mehr zu einer Herausforderung. Immer mehr Hebammen hängen Geburtshilfe daher an den Nagel.
Eine vermeintliche Lösung: Der Sicherstellungszuschlag
Im Zuge dieser Entwicklung ist im Jahr 2015 der Sicherstellungszuschlag beschlossen worden. Diesen Zuschlag können Hebammen seither beantragen, um bis zu 74,4 % der Haftpflichtprämie vom Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) zurückerstattet zu bekommen.
Wie funktioniert das?
Eine Hebamme muss die Beiträge vorerst selbst bezahlen. Im Anschluss muss sie nachweisen, dass sie pro Quartal mindestens eine Geburt einer gesetzlich versicherten Frau begleitet hat. Privat versicherte und in die Klinik verlegte Frauen zählen nicht mit. Die Hebamme hat also finanziellen Druck, sobald sie Geburtshilfe anbietet. Die Unplanbarkeit der Arbeit sorgt dafür, dass sie für einen sicheren finanziellen Ausgleich also mehr Familien einplanen muss, um ihre Kosten überhaupt decken zu können. Im folgenden Halbjahr stellt sie einen Antrag auf Erstattung. Die Genehmigung und Auszahlung des Zuschlags kann sich durchaus um einige Monate verzögern. Bis dahin ist die nächste Zahlung bereits fällig.
Das Problem?
Werden nur ca. 74,4 % der Prämie erstattet und diese steigen weiterhin an, bleibt für 2023 trotzdem eine Summe von 3.098,94 €, die die Hebamme jährlich tragen muss – Tendenz steigend. Die Vergütung von Hebammen steigt jedoch nicht im gleichen Verhältnis.
WICHTIG!
Auch die angestellten Hebammen kämpfen mit diesem Problem! Die von der Klinik übernommene Versicherung ist häufig nicht ausreichend! Die Deckungssumme ist häufig zu niedrig. Das bedeutet, dass sogar im Angestelltenverhältnis erst eine privat gezahlte Zusatzversicherung sicherstellt, dass eine Hebamme durch einen Schadensfall nicht in die Privatinsolvenz gerät.
Hebammenarbeit unter Kostendruck? Hebammenarbeit mit Existenzangst im Nacken? Muss Geburtshilfe Massenware werden, damit Hebammen davon leben können?
https://www.unsere-hebammen.de/w/files/hebammentag-2022/zahlenspiegel_2022.pdf DHZ 04/2019 Der Sicherstellungszuschlag entlastet – reicht das?, Jahn-Zöhrens U.
[12] https://www.gdv.de/gdv/themen/schaden-unfall/warum-der-versicherungsschutz-fuer-hebammen-teurer-geworden-ist-17852 (zuletzt abgerufen am 30.04.2024)
Warum ist unsere Arbeit so anstrengend?
von Fabienne
Was ist Arbeitsbelastung?
Arbeitsbelastung bezeichnet die psychische Belastung, die durch die Arbeit entsteht. Diese Belastung wirkt sich auf die Gesundheit der arbeitenden Person aus.[13][14][15]
Je mehr Ressourcen die Person hat, umso besser kann diese Belastung „weggesteckt“ werden.[14]
Erlebt eine arbeitende Person zu lange zu viele negative psychische Belastungen, kann es dazu führen, dass sich die persönlichen Ressourcen minimieren oder sogar aufbrauchen und somit die Gesundheit der Person gefährdet wird.[15]
Besonders die Gesundheit von angestellten und freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe ist aktuell gefährdet. Die Arbeit von Hebammen an sich ist schon sehr anstrengend. Dazu kommt die Entwicklung der letzten Jahre: Es wurden immer mehr Einsparungen vorgenommen und es müssen gleichzeitig mehr Aufgaben erledigt werden, wie z.B. mehr Frauen betreut werden und es gibt deutlich mehr Dokumentation. Mit der Zeit haben viele Kolleginnen die Arbeitsbedingungen nicht mehr aushalten können, haben ihre Stellen reduziert oder gekündigt. Damit verschlechtert sich die Situation für die bleibenden Hebammen. Auch die schlechte Bezahlung ist ein Grund, sich aus der Geburtshilfe zurückzuziehen.
Warum ist die Arbeit von Hebammen so anstrengend?
Jede Betreuungssituation bedeutet emotionale Inanspruchnahme. Die Begleitung während der Wehen und das gemeinsame Aushalten von Schmerz können genauso viel „Kraft“ kosten, wie die Betreuung von komplizierten Geburtsverläufen, die Begleitung von Trauerprozessen bei beispielsweise Fehl- oder Totgeburten oder die Betreuung von Familien mit vielseitigen Problemen. Nicht jede Schwangerschaft verläuft glücklich und auch das Wochenbett kann sehr belastend sein. Jede fünfte bis zehnte Frau leidet beispielsweise an Wochenbettdepressionen.[16] Frauen und Familien brauchen ein offenes Ohr und Zuwendung! Das kostet Zeit und Energie.
Es gibt aber noch mehr Faktoren, die die Arbeit von Hebammen momentan so anstrengend machen. Hier ein paar statistische Zahlen aus den letzten Jahren:
- Hebammen arbeiten immer häufiger unter Zeitdruck und müssen mehrere Frauen gleichzeitig betreuen: 2018 berichteten 64% von 1.692 befragten Hebammen, dass sie im Dienst regelmäßig drei oder mehr Frauen gleichzeitig betreuen.[17][18] Verantwortung für mehr als sechs Leben gleichzeitig zu tragen – ist das ethisch überhaupt vertretbar?
- 2015 gaben 89 % der befragten angestellten Hebammen an, sie können ihre gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen oft nicht einhalten.[18] Das bedeutet, ein Dienst im Kreißsaal dauert im Schnitt etwa acht Stunden. In dieser Zeit rennt man von Frau zu Frau, trinkt nichts, isst nichts, geht nicht auf Toilette. Wenn man es nicht schafft, im Dienst zu dokumentieren, muss man diese Zeit noch hinten dranhängen. So kann aus einem achtstündigen Dienst schnell ein neun- oder zehnstündiger Dienst werden. Und wer fünf Tage am Stück zehn Stunden so hart gearbeitet hat, weiß, was das bedeutet. Ab und zu sind solche Dienste normal, aber sie sollten kein Regelfall sein, wie aktuell in vielen Kreißsälen. Ein Privatleben? Sorry, keine Zeit!
- Die Arbeitszeit umfasst Schichtarbeit mit Nächten, Wochenenden und Feiertagen, sowie teilweise Rufbereitschaft. Rufbereitschaft und Schichtarbeit kann das Privatleben teilweise sehr stark belasten, besonders auch bei eigenen Kindern. Die immer schlechtere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben führt dazu, dass viele Hebammen die Angestelltentätigkeit reduzieren oder aufgeben.[19]
- 57% der befragten Hebammen (n = 1.692) müssen sehr häufig wegen Personalengpässen einspringen, andere Berufsgruppen nur zu 41 %.[18] Die anfallende Arbeit kann nicht am nächsten Tag erledigt werden. Naja, ist ja auch kein Problem, noch einen Tag mehr zu arbeiten. Oder besser eine Nacht. Und wer braucht schon ein freies Wochenende?
- Von den Hebammen, die mehr als 30 Stunden wöchentlich arbeiteten, gaben 39% an, dass sie monatlich mehr als 10 Überstunden, 22% mehr als 20 Überstunden und 4% mehr als 30 Überstunden monatlich ansammeln. Die Überstunden werden zu 54% als belastend wahrgenommen – bei anderen Berufsgruppen werden diese nur von 37% der Mitarbeitenden als belastend wahrgenommen.[18] So viele Überstunden sind ein eindeutiges Zeichen von Personalfehlplanung.
- Die Teilzeitquote der angestellten Hebammen steigt stetig an: 1991 waren 28,9 % der Hebammen im Krankenhaus in Teilzeit angestellt und 2017 waren es 71,7 %.[20] Eine gute Möglichkeit, sich dieser wahnsinnigen Arbeitsbelastung zu entziehen.
- 18 % der angestellten Hebammen denken häufig über einen Wechsel des Arbeitsplatzes nach.[21]
Und so ist es kein Wunder, dass 19 % von 1.692 Hebammen ihre Abteilung Freunden oder Familie nicht weiterempfehlen würden und 29 % ihre Stelle nicht mal jemandem auf Stellensuche weiterempfehlen würden.[21]
Hebammen steigen im Schnitt nach sieben Jahren aus der Geburtshilfe aus.[22]
Die genannten Zahlen erwecken den Anschein, dass die Arbeitsbelastung der Hebammen im Kreißsaal derzeit deutlich zu hoch ist und sich dieser Arbeitsbelastung immer mehr Hebammen entziehen.
Leider gibt es wenig Zahlen zu Burnout und Überstunden. Über die Arbeitsbelastung von freiberuflichen Hebammen liegen fast gar keine Zahlen vor.
Für angestellte Hebammen gibt es jedoch eine simple Lösung!
Einen verbindlichen Personalschlüssel!
[13] DIN EN ISO 10075, 2018-01: Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Online verfügbar unter https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/naerg/veroeffentlichungen/wdc-beuth:din21:271934702, abgerufen am 13.02.2024
[14] Beck, David; Taşkan, Esin; Elskamp, Elisabeth; Gold, Michael; Gregersen, Sabine; Klamroth, Heike et al. (2022): Arbeitsschutz in der Praxis. Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung. Empfehlungen zur Umsetzung in der betrieblichen Praxis. 4. Aufl. Hg. v. GDA-Arbeitsprogramm Psyche und Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin. Online verfügbar unter https://www.gda-portal.de/DE/Downloads/pdf/Psychische-Belastung-Gefaehrdungsbeurteilung-4-Auflage.pdf?__blob=publicationFile&v=2, abgerufen am 13.02.2024
[15] Metz, Anna-Marie; Rothe, Heinz-Jürgen (2017): Screening psychischer Arbeitsbelastung. Ein Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
[16] https://schatten-und-licht.de/Krankheit/krankheitsbilder.html, zuletzt abgerufen am 16.04.2024
[17] IGES Institut (2019): Stationäre Hebammenversorgung. Gutachten. Online verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/stationaere_Hebammenversorgung_IGES-Gutachten.pdf, zuletzt abgerufen am 13.02.2024
[18] DHV; Picker Institut (2015): Die Arbeitssituation von angestellten Hebammen in Kliniken. Hebammenbefragung 2015. Online verfügbar unter https://www.unsere-hebammen.de/w/files/klinikhebammen/dhv_studie_hebammenbefragung2015_final_web.pdf, zuletzt abgerufen am 13.02.2024
[19] Lehweß-Litzmann, René (Hg.) (2024): Fachkräfte für die Daseinsvorsorge – Heute hier, morgen weg? 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos (Öffentliche Güter und Sozialer Zusammenhalt | Public Goods and Social Cohesion, Band 5).
[20] Nier, Hedda (2019): Mehr Hebammen – aber vor allem in Teilzeit. Statista. Online verfügbar unter https://de.statista.com/infografik/4788/schwierige-berufssituation-fuer-hebammen/, zuletzt abgerufen am 16.04.2024
[21] DHV; Picker Institut (2015): Die Arbeitssituation von angestellten Hebammen in Kliniken. Hebammenbefragung 2015. Online verfügbar unter https://www.unsere-hebammen.de/w/files/klinikhebammen/dhv_studie_hebammenbefragung2015_final_web.pdf, zuletzt abgerufen am 13.02.2024
[22] Stier-Zink, Melanie (2023): Dem Mangel auf der Spur. In: Heb Wiss 4 (2), S. 50–55. DOI: 10.1007/s43877-023-0756-7.
Rufbereitschaft – was bedeutet das?
von Lotta
Rufbereitschaft heißt, man ist über sein Telefon/ Handy erreichbar und arbeitet auf Abruf. Das bedeutet, sobald man einen Anruf bekommt, lässt man alles stehen und liegen und arbeitet. 24/7-Rufbereitschaft heißt, man ist 24 Stunden am Tag an allen 7 Tagen der Woche erreichbar, also rund um die Uhr. IMMER.
Nicht jede Hebamme ist rund um die Uhr erreichbar. Das ist nur notwendig, wenn man allein oder in einem kleinen Team freiberuflich Geburtshilfe anbietet. Hebammen, die Schwangere und Wöchnerinnen betreuen, sind meistens tagsüber rufbereit (einschließlich Wochenende und Feiertag). Angestellte Hebammen haben manchmal nur einzelne Tage Rufbereitschaft, um im Kreißsaal bei einer hohen Arbeitsbelastung mit „einspringen“ zu können.
Warum haben Hebammen Rufbereitschaft?
Ein großer Teil der Hebammenarbeit ist nicht vorhersehbar. Wann springt die Fruchtblase? Wann werden Wehen zu Geburtswehen? Wann wird das Baby geboren? Wann ist der Wochenfluss zu stark? Wann treten Stillprobleme auf? Wann schreit das Baby den ganzen Tag und lässt sich nicht beruhigen?
Für Außenstehende scheinen diese Probleme vielleicht banal. Wer aber schon mal in der Situation der Familie war, weiß, wie man sich fühlt. Dazu kommt im Wochenbett noch der Schlafentzug… Halleluja!
Und dann ruft man seine Hebamme an. Wenn man denn eine hat. Eine Hebamme mit Rufbereitschaft muss also zusätzlich zu planbarer Arbeit in gängigen Uhrzeiten jederzeit mit einer Unterbrechung rechnen.
Relativ planbare Arbeit sind zum Beispiel: Wochenbettbesuche, Schwangerenvorsorge, Beratungstermine, Hilfe bei Beschwerden jeglicher Art, geplante Kaiserschnitte, Kurstermine (Geburtsvorbereitung, Rückbildung etc.) und auch Bürotätigkeiten wie Dokumentation, Abrechnung, Einkauf und Qualitätsmanagement.
ABER selbst die Dauer der geplanten Termine kann man nicht vorhersehen. Bei einem Erstgespräch kann beispielsweise die Frau plötzlich in Tränen ausbrechen und gestehen, dass sie mit ihrer Schwangerschaft nicht glücklich ist (großes Tabu-Thema). Dann geht man nicht nach einer Stunde, sondern bleibt vielleicht anderthalb oder zwei Stunden, bis die Frau sich wieder gefangen hat und man sie wieder alleine lassen kann.
Halten wir fest: Hebammenarbeit ist zum größten Teil unvorhersehbar und es kann jederzeit etwas Spontanes dazwischenkommen, wie beispielsweise akute Beschwerden, Notfälle der betreuten Familien oder eine Geburt, die gerade beginnt.
Was passiert nach einem Anruf?
Die Hebamme muss den geplanten Arbeitstag umstellen, Termine absagen, verschieben, Ersatztermine organisieren oder eine Kollegin herbeizaubern (praktisch, wenn Hebammen in Teams arbeiten). Es ist also jederzeit eine berufliche Flexibilität von Nöten.
So kommen komplett unterschiedliche Wochenarbeitsstunden zustande, die sich aufgrund des Arbeitsaufkommens oft fernab gesetzlicher Grenzen für Arbeitnehmerinnen bewegen.
Häufig muss man also sein Auto überall dabeihaben, um schnell von A nach B zu kommen (am besten genug Sprit im Tank). Das Auto sollte wie bei Handwerkern mit verschiedenen „Werkzeugen“ für alle möglichen Situationen beladen sein, wie beispielsweise mit Equipment für Geburten. Bietet man Geburtshilfe an, kann man auch nicht weiter als einen bestimmten Radius wegfahren, weil man immer innerhalb einer bestimmten Zeit entweder bei der Frau oder im Krankenhaus sein muss. Man braucht immer genug Essen und genug Wechselkleidung dabei. Jeder Tag in der Therme oder auch ein Einkauf bei IKEA erfordert Organisation: Man muss jederzeit alles stehen und liegen lassen können und ins Auto steigen… Hochzeiten? Geburtstagsfeiern? Ob ich komme? Kann ich dir erst sagen, wenn es soweit ist. Candlelight-Dinner? Ja gern, aber lass uns gleich zu Anfang bezahlen, die Nina hat mich vorhin angerufen, ihre Wehen kommen jetzt schon alle zehn Minuten… Selbst wenn man in der Badewanne sitzt, muss das Handy in greifbarer Nähe liegen.
Man merkt schon: Rufbereitschaft bedeutet Stress – man hat eine dauerhafte Grundanspannung. Das bemerkt man vor allem, wenn man mal keine Rufbereitschaft hat 😉 Rufbereitschaft schränkt die Lebensqualität ein. Das Privatleben kann sehr darunter leiden und Work-Life-Balance ist – hm naja häufig eher Wunschdenken.
Ein freies Wochenende, um sich zu erholen, gibt es häufig nicht. Besonders allein oder in kleinen Teams arbeitende Hebammen haben teilweise über Monate hinweg keinen einzigen sicher freien Tag, sondern müssen jederzeit bereit sein, ihr Privatleben links liegen zu lassen. Einen wirklichen Feierabend gibt es daher eigentlich nie, da sich jederzeit jemand melden kann.
Dabei einen guten Umgang mit der eigenen Gesundheit zu erhalten, ist eine große Herausforderung – neben dieser dauerhaften Grundanspannung sieht man sich aus eigener Erfahrung automatisch Schlafmangel, unregelmäßiger und teilweise ungesunder Ernährung gegenüber.
Die Auswirkungen spürt aber natürlich auch das private Umfeld. In der Familie oder dem Freundeskreis regelmäßig Verständnis für spontane Absagen und Unplanbarkeit zu bekommen, ist nicht selbstverständlich und führt häufig zu Kritik oder Streit. Auch nicht jeder Partner/ jede Partnerin kann diese Belastung aushalten. Viele Beziehungen scheitern deswegen.
Hat man eigene Kinder, müssen die meisten Hebammen ihre Rufbereitschaft aufgeben oder die Kinder haben nicht besonders viel von ihrer Mutter. Das Problem verstärkt sich besonders bei alleinerziehenden Hebammen oder zusätzlichen Verpflichtungen wie pflegebedürftigen Angehörigen.
Ein Tag kann zum Beispiel so aussehen:
Eine Hebamme hat vormittags Hausbesuche. Mittags wird sie zur Geburt gerufen. Leider kann sie dann nicht zum Geburtstag ihres eigenen Kindes kommen. Die Geburt dauert bis in den frühen Morgen. Dann ein paar Stunden Schlaf und nun die vom Vortag verschobenen Wochenbettbesuche plus die geplanten Termine. Dann ruft noch eine Frau an, sie hat Wehen…
Leider werden wir für die Rufbereitschaft von den Krankenkassen nicht bezahlt. Fair? Ich denke nicht.
Ich liebe meinen Beruf. Und ich liebe „meine“ Frauen. Und ich möchte davon auch leben können.
Ihr könnt uns unterstützten! Klickt hier!
https://www.sbk.org/arbeitgeberservice/fachthemen/gesundheit/arbeit-auf-abruf-fuehrt-zu-unzufriedenheit (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
Warum fordern wir einen Personalschlüssel?
von Fabienne
Warum fordern wir einen verbindlichen Personalschlüssel für angestellte Hebammen?
Krankenhäuser werden pro Fall bezahlt (DRG-Fallpauschalen). Um maximalen Umsatz zu erwirtschaften, sollten in möglichst wenig Zeit möglichst viele Fälle abgewickelt werden. Dabei sollten die Kosten des Krankenhauses möglichst niedrig sein. Im Bereich der Humandienstleistungen sind die größten Kosten häufig die Personalkosten. Es ist schlussfolgernd aus betriebswirtschaftlicher Sicht das Ziel, mit möglichst wenig Personal in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Patientinnen und Patienten zu versorgen.
Und das ist das, was in vielen Kreißsälen aktuell passiert:Möglichst wenige Hebammen begleiten möglichst viele Geburten. Und sie werden dabei möglichst schlecht bezahlt, damit sich der Kreißsaal lohnt und möglichst viel Geld abwirft.
Ob es ethisch vertretbar ist, mit der Gesundheit von Menschen Geld verdienen zu wollen, steht auf einem anderen Blatt.
Warum ist es so wichtig, genug Hebammen im Dienst zu haben?
Arbeite ich z.B. als Tischlerin und es kommt noch mehr Arbeit rein, kann ich meine Arbeit auf die nächsten Tage aufteilen. Aber arbeite ich im Kreißsaal, muss ich die anfallende Arbeit SOFORT in Angriff nehmen. Je weniger Personal in dem Moment zur Verfügung steht, umso weniger Zeit ist zur Erledigung der Aufgaben vorhanden und manmuss sich bei dieser Arbeitsverdichtung abhetzen. Darunter leidet die Qualität der Dienstleistung.[1] Das bedeutet, dass Frauen und ihre Bedürfnisse teilweise im Stich gelassen werden müssen, weil einfach keine Zeit und Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Ich bin als Hebamme also auf mein Team angewiesen, oder wenn ich allein arbeite, auf mich selbst und meine beiden Hände. Habe ich zwei wehende Frauen im Kreißsaal, zwei weitere klingeln an der Tür und der Rettungsdienst meldet eine fünfte – dann ist es ein riesiger Unterschied, ob ich allein bin oder wir ein Team aus drei Kolleginnen sind.
Dieser Stress kann krank machen und zur Abwanderung führen, was wiederum zu mehr Arbeitsverdichtung und Druck führt. Um diesen Teufelskreis zu verlassen, ist eine bessere Personalbemessung der entscheidende Knackpunkt.[2]
Hebammen steigen nämlich im Schnitt nach sieben Jahren aus der Geburtshilfe aus.[3]
Die derzeitige personelle Besetzung von Stellen in der Patientenversorgung ist in den letzten Jahren teilweise so reduziert worden, dass die Versorgungs- und Patientensicherheit in einigen Bereichen gefährdet ist.[4][5]
Habe ich nun einen verbindlichen Personalschlüssel, ist es unmöglich, übermäßig am Personal einzusparen. Vermutlich müssten viele Häuser die Anzahl der Stellen massiv erhöhen.
Dadurch würde sich die Arbeitsbelastung und die Gesundheit der Angestellten und automatisch auch die Versorgungssicherheit der Familien verbessern. Es würden wieder mehr Hebammen im Kreißsaal arbeiten oder ihre Stunden erhöhen. So könnten wir zumindest den Hebammenmangel im Kreißsaal bekämpfen!
Es gibt aktuell eine sehr erfreuliche Entwicklung:
Ab dem 01.01.2025 werden die Personalkosten der Hebammen über das Pflegebudget bezahlt.[6] Den Krankenhäusern kann es dann „egal“ sein, wie viele Hebammen im Kreißsaal arbeiten, weil sie nicht mehr für die Personalkosten der Hebammen aufkommen müssen.
Mit dieser Umstellung werden die Personalkosten und die Modelle und Instrumente der Personalbemessung einer Prüfung unterzogen, da die Krankenhäuser in den Budgetverhandlungen einen Stellenplan für Hebammen vorlegen müssen. Wir Hebammen müssen also JETZT handeln, um unsere Argumente (auch kaufmännische) zu sammeln und gewappnet in diese Diskussion eintreten zu können und an der entsprechenden Position einen fairen Stellenplan vorlegen zu können.
Einen möglichen Personalschlüssel hat eine Arbeitsgruppe des DHV Niedersachsen entworfen, die leitlinienorientierte Personalbemessung für Hebammen (LoPH). Die Kalkulation zeigt, dass eine Hebamme jährlich 60,5 Geburten im Jahr betreuen kann, wenn die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse umgesetzt werden.[7][8] Bei 2.500 Geburten sollte ein Haus daher beispielsweise 41,3 Hebammen in Vollzeit anstellen.
Nach Schätzung von 2020 betreuen angestellte Hebammen jedoch im Durchschnitt doppelt so viele Geburten wie empfohlen (120 Geburten pro Jahr), Tendenz steigend.[9]
Es kann also durchaus davon ausgegangen werden, dass pro Kreißsaal im Durchschnitt nur halb so viele Hebammen arbeiten, wie aktuelle Studien und Leitlinien empfehlen.
[1] Karremann, Mona Sophia (2021): Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Arbeitsbelastung und psychische Gesundheit von Beschäftigten der Universitätsfrauenklinik Ulm – ein Berufsgruppenvergleich. Dissertation. Universität Ulm, Ulm. Medizinischen Fakultät. Online verfügbar unter https://d-nb.info/1236993535/34.
[2] Schildmann, Christina; Voss, Dorothea (2018): AUFWERTUNG VON SOZIALEN DIENSTLEISTUNGEN. Warum sie notwendig ist und welche Stolpersteine noch auf dem Weg liegen. Hans Böckler Stiftung (Forschungsförderung Report, 4). Online verfügbar unter https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_report_004_2018.pdf.
[3] Stier-Zink, Melanie (2023): Dem Mangel auf der Spur. In: Heb Wiss 4 (2), S. 50–55. DOI: 10.1007/s43877-023-0756-7.
[4] Aktionsbündnis Patientensicherheit (24.09.2021): Appell des Aktionsbündnis Patientensicherheit: Gefährdung von Müttern und Kindern durch unzureichende Versorgung mit Hebammen und Pflegekräften abstellen – Mitarbeitende brauchen Unterstützung und Entlastung! Berlin. Hansen, Melanie, [email protected]. Online verfügbar unter https://www.aps-ev.de/Presse/appell-des-aktionsbuendnis-patientensicherheit-gefaehrdung-von-muettern-und-kindern-durch-unzureichende-versorgung-mit-hebammen-und-pflegekraeften-abstellen-mitarbeitende-brauchen-unterstue/.
[5] Isfort, M. (2013): Einfluss der Personalausstattung auf Pflege und Patientenversorgung in deutschen Intensivstationen. Deskriptive Studie zu Aspekten der Patientensicherheit und Belastungsindikatoren der Pflege. In: Medizinische Klinik, Intensivmedizin und Notfallmedizin 108 (1), S. 71–77. DOI: 10.1007/s00063-012-0207-x.
[6] Bundesministerium für Gesundheit (2023): Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG). Online verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/gesetze-und-verordnungen/guv-20-lp/khpfleg.
[7] Bujny, Veronika; Giersberg, Heidi; Hahn-Schaffarczyk, Stephanie; Luke, Natalie; Pfender, Susanne; Schauland, Hilke et al. (2023): LoPH-Methode Kreißsaal. Leitlinienorientierte Hebammen-Personalbemessungsmethode Kreißsaal. Arbeitsgemeinschaft angestellte Hebammen Niedersachsen/ Bremen/ Sachsen/ Hamburg/ Baden-Württemberg (2). Online verfügbar unter https://hebammen-niedersachsen.de/hebammenberuf/personalbemessung.
[8] https://hebammen-niedersachsen.de/hebammenberuf/personalbemessung/DHV_LoPH_Plakat_A3_HP.pdf
[9] https://www.aerzteblatt.de/archiv/214660/Geburtshilfe-Doch-kein-Hebammengesetz (zuletzt abgerufen am 21.03.2024)
Warum verteidigen wir unsere beruflichen Interessen gegen Drittanbieter:innen?
Zunächst ist wichtig, festzuhalten, dass wir keineswegs generell gegen Drittanbieter:innen sind! Unser aller primäres Ziel ist das Wohlergehen von Mutter und Kind. Dennoch sehen wir es kritisch, wenn Drittanbieter:innen die Rolle von Hebammen bei der Betreuung von Familien übernehmen wollen.
Diese Frage gewinnt vor dem Hintergrund des aktuellen Versorgungsmangels an Bedeutung. Familien suchen nach Unterstützung und stoßen dabei im Dschungel des Internets auf eine Vielzahl von Dienstleistungen: Stillberaterinnen, Wochenbettbetreuerinnen, Mütterpflegerinnen, Prä- oder Postnatale:r Trainer:in, verschiedene Coaches und Doulas sind nur einige Beispiele.
All diese Begriffe sind nicht gesetzlich geschützt. Jeder kann solche Dienstleistungen theoretisch ohne entsprechende Qualifikation anbieten. Explizit nicht gemeint sind hier Stillberaterinnen, die eine aufwändige und qualitativ hochwertige Qualifikation erworben haben, wie z.B. von dem IBCLC oder vergleichbaren Institutionen!
Eine Hebamme erwirbt während ihrer Ausbildung ein umfassendes Wissen, muss sich regelmäßig weiterbilden und ein umfassendes Qualitätsmanagement betreiben.
Noch dazu ist sie an die Vergütungsvereinbarung gebunden, während Drittanbieter:innen ihre Preise frei gestalten können.
Die Kaiserschnittrate steigt – warum ist das so?
von Tara Franke
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass für die Sicherheit von Müttern und deren Kindern eine gewisse Kaiserschnittrate von ca. 10 – 15 % notwendig ist, wie die WHO konstatiert[23]. Die Kaiserschnittrate in Deutschland ist seit 1991 von 15,3 % auf um die 30 % seit den 2010er Jahren (s. Abbildung 1) gestiegen. Für 2023 zeichnete sich bereits im Juli vergangenen Jahres mit 34,5 % ein weiterer Höhepunkt ab[24].
Abbildung 1: Destatis. „Zahlen aus Krankenhausentbindungen in Deutschland“[25]
Dabei erfolgen in Deutschland tatsächlich nur etwa 10 % aller Geburten wegen zwingender Gründe wie einer geburtsunmöglichen Lage, eines (drohenden) Gebärmutterrisses oder einer akuten Unterversorgung des Kindes mit Sauerstoff. Die übrigen werden aus medizinisch nicht zwingend notwendigen Gründen vorgenommen, wie nach einem vorherigen Kaiserschnitt, bei auffälligen Herztönen des Kindes oder einer verlangsamten Geburt[26]. Die Kaiserschnittraten könnten durch gesundheitliche Veränderungen der bundesdeutschen Bevölkerung angestiegen sein, wie einer steten Zunahme an Übergewicht und Diabetes. Allerdings erklärt dies nicht, warum die Raten in verschiedenen Häusern und sogar Bundesländern stark variieren[27]. Eine Karte, auf der werdende Eltern die Kaiserschnittrate der letzten Jahre in den Kliniken ihrer Umgebung finden, wurde bei Mother Hood e.V. veröffentlicht[28].
Andere Faktoren, die einen Einfluss haben könnten, sind beispielweise Fehlinterpretationen des CTG (kontinuierliche Aufzeichnung der kindlichen Herztöne), steigende Zahlen früher Geburtseinleitung oder Periduralanästhesien („rückenmarksnahe Narkosen“). Auch ein Mangel an Personal und die dadurch häufig nicht zu gewährleistende Eins-zu-Eins-Betreuung könnten dazu beitragen[29].
Die zunehmend vorsorgliche Kaiserschnitt-Strategie hat in Deutschland leider nicht zu einer Verbesserung der Gesundheit der betroffenen Kinder geführt, sondern sie hat sogar gesundheitliche Nachteile für Mütter (operationsbedingte Risiken wie Thrombosen oder Infektionen, Narbenbildung der Gebärmutter mit Risiken für Folgeschwangerschaften u.a.) und Kinder (Atemprobleme nach der Geburt, Asthma, Entzündugnen des Magen-Darm-Systems u.a.). Ausführliche Informationen zu Risiken und möglichen Folgen finden Interessierte z.B. auf der staatlich finanzierten Aufklärungsseite www.familienplanung.de[30].
Daher erklärt die erste von Ärzt:innen und Hebammen gemeinsam verfasste und überwiegend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Leitlinie zur normalen/risikoarmen Geburt[31] eine Senkung der Kaiserschnittrate zum dringenden Ziel. In der Praxis zeigt sich aber, dass diese Leitlinie in vielen Kliniken bisher nicht so umgesetzt wird wie empfohlen. Mögliche Gründe sind:
- der schiere Umfang der Änderungen in der geburtshilflichen Routine, die eine konsequente Umsetzung für viele Kliniken bedeuten würden,
- die Unsicherheiten, die damit einhergehen. Diese haben juristische, praktische und strukturelle Gründe, resultieren oft aber auch aus der fehlenden Erfahrung mit der natürliche Geburt und die Selbsterhaltungs- und Selbstheilungskräfte von Mutter und Kind,
- fehlendes Personal, das für die dort empfohlene eine kontinuierliche Begleitung jeder Frau durch eine Hebamme ab einer fortgeschrittenen Geburtsphase nötig wäre,
- falsche Anreize im Vergütungssystem, die Kaiserschnitte besser vergüten als z.B. lange und personalintensivere vaginale Geburten.
Das Problem der ansteigenden Kaiserschnittraten ist allerdings kein spezifisch deutsches. Die Zahlen und Entwicklungen verschiedener europäischer Länder in den Jahren 1990 – 2020 mit Raten von unter 8 % bis hinauf zu knapp 40 % sind teilweise extrem unterschiedlich und weisen recht eindeutigen darauf hin, dass es nicht primär an sich verändernden gesundheitlichen Voraussetzungen der Frauen und Kinder liegt, sondern eher unterschiedlichen mit geburtshilflichen Entwicklungen und Paradigmen dieser Länder[32].
Es sieht also so aus, als sei das Problem der steigenden Kaiserschnittraten ein komplexes Problem, das auch von vielen verschiedenen Seiten aus angegangen werden muss, um die Gesundheit von Mutter und Kind und das Recht auf Selbstbestimmung und evidenzbasierte (wissenschaftlich fundierte) Geburtshilfe zu schützen.
Abbildung 2: https://www.birthbythenumbers.org/cesarean-sections-2/ Zugriff vom 11.4.2024
[23] WHO (2015). WHO Statement on Caesarean Section Rates https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/161442/WHO_RHR_15.02_eng.pdf?sequence=1
[24] KKH (2023). Jedes dritte Kind wird per Kaiserschnitt geboren https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/kaiserschnitt2023 vom 27.07.202
[25] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabellen/krankenhausentbindungen-kaiserschnitt.html
[26] ÄRZTEBLATT „Erste S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt soll Entscheidung für Geburtsmodus erleichtern“. Veröffentlicht: Freitag, 12. Juni 2020 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113736/Erste-S3-Leitlinie-zum-Kaiserschnitt-soll-Entscheidung-fuer-Geburtsmodus-erleichtern Zugriff vom 11.4.2024
[27] ÄRZTEZEITUNG „Statistik für das Jahr 2020. Kaiserschnittrate bleibt in Deutschland konstant“, Veröffentlicht: 26.04.2022, 14:11 Uhr https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Kaiserschnittrate-bleibt-in-Deutschland-konstant-428556.html Zugriff vom 11.4.2024
[28] https://mother-hood.de/informieren/kaiserschnittrate-suche/ Zugriff vom 23.4.2024 (Die Zahlen stammen aus den Qualitätsberichten der Kliniken, die der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) seit 2017 im www.vdek-kliniklotse.de veröffentlicht.)
[29] Corrigan, S., Howard, V., Gallagher, L., Smith, V., Hannon, K., Carroll, M., & Begley, C. (2022). Midwives‘ views of an evidence-based intervention to reduce caesarean section rates in Ireland. Women and birth: journal of the Australian College of Midwives, 35(6), 536–546. Zitiert in: DHZ online (2023). Lässt sich die Kaiserschnittrate durch REDUCE wirksam senken? https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/wie-schaetzen-reduce-zur-senkung-der-sectiorate-ein/ vom 28.02.2023
[30] https://www.familienplanung.de/risiken-und-auswirkungen/
[31] DGGG, DGHWi (2020). S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin. Kurzfassung. Registernummer 015 – 083. https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-083k_S3_Vaginale-Geburt-am-Termin_2021-01_1.pdf
[32] https://www.birthbythenumbers.org/cesarean-sections-2/ Zugriff vom 11.4.2024
Weitere QUELLEN:
DGGG, DGHWi (2020). S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin. Kurzfassung. Registernummer 015 – 083. https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-083k_S3_Vaginale-Geburt-am-Termin_2021-01_1.pdf
ÄRZTEBLATT „Erste S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt soll Entscheidung für Geburtsmodus erleichtern“. Veröffentlicht: Freitag, 12. Juni 2020
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113736/Erste-S3-Leitlinie-zum-Kaiserschnitt-soll-Entscheidung-fuer-Geburtsmodus-erleichtern Zugriff vom 11.4.2024
ÄRZTEZEITUNG „Statistik für das Jahr 2020. Kaiserschnittrate bleibt in Deutschland konstant“, Veröffentlicht: 26.04.2022, 14:11 Uhr https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Kaiserschnittrate-bleibt-in-Deutschland-konstant-428556.html Zugriff vom 11.4.2024
BzgA / familienplanung.de „Risiken und Auswirkungen des Kaiserschnitts“ https://www.familienplanung.de/risiken-und-auswirkungen/ Zugriff vom 11.4.2024
Kreißsaalsterben – was meinen wir damit?
von Lisa
Die Anzahl der Kreißsäle in Deutschland hat sich seit 1991 fast halbiert:
Abbildung 1: Eigene Darstellung. Anzahl der Krankenhäuser mit Kreißsaal, Entwicklung von 1991 bis 2022.[33][34]
Und immer noch schließt monatlich etwa ein Kreißsaal.[35]
Warum ist das so?
Immer mehr Geburtskliniken schließen ihre Kreißsäle aufgrund von Personalmangel, ökonomischen Zwängen und steigenden Haftungskosten. Das führt dazu, dass immer mehr Frauen längere Wege zur nächsten Klinik in Kauf nehmen müssen.
Besonders betroffen von diesem sogenannten „Kreißsaalsterben“ sind ländliche Regionen, wo die Schließung von Geburtskliniken die Versorgung von Familien stark beeinträchtigt. Hebammen und Gynäkologen schlagen seit Jahren Alarm und warnen vor den gesundheitlichen Risiken, die diese Entwicklung mit sich bringt.
Die Belastung des medizinischen Personals in den verbleibenden Kliniken steigt aufgrund der steigenden Anzahl von Geburten pro Klinik deutlich an und verschlechtert gleichzeitig die Qualität der Geburtshilfe durch erhöhtes Arbeitsaufkommen. Eine Eins-zu-eins Betreuung wird seltener und Komplikationen häufiger.[36]
[33] IGES Institut (2019): Stationäre Hebammenversorgung. Gutachten. Online verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/stationaere_Hebammenversorgung_IGES-Gutachten.pdf, S.77.
[34] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/statistischer-bericht-grunddaten-krankenhaeuser-2120611227005.xlsx?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 16.04.2024
[35] https://mother-hood.de/informieren/geburtsstationen-deutschland/, zuletzt abgerufen am 16.04.2024
[36] https://hebammenverband.de/kalter-strukturwandel-gute-geburtshilfliche-versorgung-darf-nicht-laenger-dem-zufall-ueberlassen-werden, zuletzt abgerufen am 16.04.2024
Hebammenmangel – wahr oder erfunden?
von Fabienne
Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes habe ich mich mit dieser Frage umfassend auseinandergesetzt. Die Beantwortung dieser Frage ist nämlich etwas komplex. Deswegen müssen wir uns zu Beginn kurz etwas Wissen aneignen. Ich versuche, es möglichst kurz zu halten 😊 Wer sich für das trockene Wissen nicht so interessiert, kann diesen Teil hier überspringen.
Fachkräftemangel (oder Fachkräfteengpass) beschreibt die Situation, wenn es über einen längeren Zeitraum zu wenig Fachkräfte von einer bestimmten Berufsgruppe gibt.[51] Einen Fachkräftemangel kann man mit Kennzahlen messen. Schauen wir uns also die drei aussagestärksten Kennzahlen an. Die Daten sind aus der Engpassanalyse 2022 der Bundesagentur für Arbeit.
1. Vakanzzeit: Die Vakanzzeit ist die Dauer vom gewünschten Besetzungstermin einer Stelle bis zur Abmeldung der Stelle bei der Bundesagentur für Arbeit.[52] Wenn es lange dauert, liegt vermutlich ein Fachkräftemangel vor. Denn weil es so wenig verfügbare Fachkräfte gibt, dauert die Suche nach einer geeigneten Arbeitskraft lange.[53] Die aktuelle allgemeine Vakanzzeit liegt im derzeitigen Jahresdurchschnitt bei 152 Tagen.[54] Für Hebammen liegt die Vakanzzeit derzeit bei 54 Tagen.3 à laut dieser Kennzahl liegt kein Hebammenmangel vor
2. Arbeitsuchenden-Stellen-Relation: Die Kennzahl zeigt, wie viele Arbeitssuchende sich auf eine Stelle bewerben. Laut Bundesagentur für Arbeit liegt ein Fachkräftemangel vor, wenn sich weniger als zwei Leute auf eine Stelle bewerben.3 Für Hebammen ist die Kennzahl derzeit bei 7,4.3 à auch laut dieser Kennzahl gibt es keinen Hebammenmangel
3. Berufsspezifische Arbeitslosenquote: Innerhalb einer Berufsgruppe werden die gemeldeten Arbeitslosen in Beziehung zu den Erwerbstätigen gesetzt.2 Eine niedrige Quote, also wenig Arbeitslose in einer Berufsgruppe, kann ein Hinweis auf einen Fachkräftemangel sein. Die Bundesagentur für Arbeit spricht von einem Fachkräftemangel, wenn die berufsspezifische Arbeitslosenquote kleiner als 3,0 ist.3Sieliegt für Hebammen bei 0,7.3 à Laut dieser Kennzahl liegt ein Hebammenmangel vor. Die Bundesagentur für Arbeit weist aber darauf hin, dass die Daten für diese Kennzahl aus verschiedenen Statistiken und unterschiedlichen Organisationen gespeist wird und eine gewisse Ungenauigkeit nicht ausgeschlossen werden kann.2 Diese Zahl ist auch mit Vorsicht zu genießen, da Hebammen neben dem Angestelltenverhältnis häufig auch freiberuflich arbeiten. Kündigen sie das Angestelltenverhältnis, sind sie weiter freiberuflich tätig. Sie melden sich daher generell seltener arbeitslos als andere Berufsgruppen.
Die Engpassanalyse rechnet am Ende alle Kennzahlen zusammen. Ist der Gesamtfaktor höher als 2,0, liegt ein Fachkräftemangel in einer Berufsgruppe vor.3 Die Berufsgruppe der Hebammen hat eine Gesamtwertung von 1,8. Laut der Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit gibt es also keinen Hebammenmangel.
Ist der Hebammenmangel also erfunden?
Vorsicht: Es müssen ein paar Faktoren bedacht werden:
Die Zahlen der Engpassanalyse gelten nur für angestellte Hebammen. 2020 gab es etwa 27.000 Hebammen in Deutschland.[55] Davon waren nur etwa 37,5 % (10.130 Hebammen) fest angestellt.[56] Was ist mit den selbstständigen Hebammen? In Bayern sind beispielsweise 60 % der geburtshilflichen Abteilungen durch selbstständige Beleghebammen besetzt, Tendenz steigend. Diese Tendenz gibt es in allen Bundesländern.[57] Zahlen gibt es für selbstständige Hebammen kaum. Im Gespräch mit Kolleginnen kommt es auf die Region an, wie viele Frauen sich auf der Suche nach einer Hebamme verzweifelt bei Ihnen melden. Manche Kolleginnen bekommen zehn Anrufe täglich, manche nur zwei Anrufe pro Monat. In den ländlichen und abgelegenen Gebieten ist es meist deutlich schwerer, eine Hebamme zu finden.
Auch Hebammen aus Zeitarbeitsfirmen wurden in der Analyse ausgeschlossen. Wir wissen überhaupt gar nicht, wie hoch der Anteil von Hebammen aus Zeitarbeitsfirmen ist und ob sie die Arbeitsbelastung des angestellten Stammpersonals einer Klinik erhöhen oder entlasten. Weiterhin stellt sich die Frage, wie belastet die Hebammen aus Zeitarbeitsfirmen sind, denn sie haben arbeitgeberseits andere Arbeitsbedingungen. Auch dazu liegen derzeit keine Daten vor.
Also gibt es jetzt doch einen Hebammenmangel?
Die Zahlen des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) weisen auf einen deutlichen Hebammenmangel hin: 2014 hatten 20 % der geburtshilflichen Abteilungen Probleme, offene Hebammenstellen zu besetzen. Zwei Jahre später (2016) hatten schon 46,2 % der Häuser Probleme, offene Hebammenstellen zu besetzen. Das DKI schätzt, dass 2016 bundesweit etwa 400 Vollzeitstellen für Hebammen unbesetzt blieben – bei 7.000 Vollzeitstellen etwa 6 % der Stellen.[58]
Auch im IGES-Gutachten von 2019 wird beschrieben, dass fast 60 % aller Kliniken etwa jede fünfte geplante Stelle nicht besetzen können.[59]
Also was denn jetzt – gibt es einen Hebammenmangel oder gibt es ihn nicht?
Für selbstständige Hebammen kann ich diese Frage nicht mit statistischen Daten beantworten. Ich kann nur das Stimmungsbild der selbstständigen Kolleginnen auswerten. Das besagt, dass es regional total starke Unterschiede gibt. Trotzdem höre ich immer öfter von Kolleginnen, die aufhören.
Und für angestellte Hebammen?
Hier habe ich Zahlen. Und diese Zahlen widersprechen sich: Laut Bundesagentur für Arbeit gibt es anscheinend keinen Hebammenmangel. Laut DKI und IGES aber schon.
Dann war da noch diese Pressemeldung aus 2020 vom Deutschen Hebammenverband und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe: „Die Zahl ausgebildeter Hebammen war noch nie so hoch wie heute. Seit Jahrzehnten gibt es ausreichend BewerberInnen. Trotzdem herrscht konkreter Mangel.“[60]
Ich habe Wochen über diesen Widerspruch gegrübelt und gegrübelt. Und dann ist bei mir der Groschen gefallen: Es gibt nicht nur zwei Szenarien! Es gibt DREI Szenarien!
Szenario 1: Es gibt einen Hebammenmangel.
Szenario 2: Es gibt keinen Hebammenmangel.
Szenario 3: Es gibt keinen Hebammenmangel, sondern es gibt einen Mangel an Hebammen, die unter den aktuellen Arbeitsbedingungen noch arbeiten können oder wollen.
Gewagte Hypothese – aber da ist was dran. Und seltsamerweise passen all diese Zahlen dann wieder zusammen: Die Zahlen der Bundesarbeitsagentur passen, weil sie zeigen, dass es sehr wohl Häuser gibt, die auf eine Stelle viele Bewerberinnen haben. Die Zahlen der DKI, weil sie besagen, dass aber auch viele Häuser Probleme haben, ihre Stellen zu besetzen.
Und da hat’s bei mir geklingelt.
Was also ist das wirkliche Problem?
Das Problem sind die Arbeitsbedingungen. Und daran ist mittlerweile nichts mehr schönzureden. SEIT JAHREN, ach Quatsch, SEIT JAHRZEHNTEN reden Hebammen über dieses Problem. Und es tut sich: NICHTS. Stattdessen wird es immer schlimmer… Sparen hier, sparen da. Viele Hebammen opfern sich auf und versuchen, den Laden am Laufen zu halten. Die Zustände sind teilweise menschenverachtend, unter aller Sau – ey sorry, anders kann ich das einfach nicht mehr sagen.
Es gibt aber mittlerweile schon Häuser, die haben das verstanden. Die tun was. Die übernehmen Verantwortung, schaffen mehr Stellen, bezahlen anständig. Und dahin gehen die Hebammen, weil sich das rumspricht. Oder die Hebammen machen sich als Belegteam selbstständig, so wie viele Häuser in Bayern. Dann verdienen sie wenigstens mehr Geld für diesen Knochenjob.
Und die anderen Hebammen? Manchmal kann man nicht einfach kündigen. Manchmal kann man nicht einfach wegziehen. Manchmal hat man keine Wahl. Oder?
[51] Obermeier, Tim (2014): Fachkräftemangel. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/178757/fachkraeftemangel/ (zuletzt abgerufen am 28.04.2024)
[52] Bundesagentur für Arbeit (2020): Grundlagen: Methodenbericht. Engpassanalyse – Methodische Weiterentwicklung. April 2020. Online verfügbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Grundlagen/Methodik-Qualitaet/Methodenberichte/Uebergreifend/Generische-Publikationen/Methodenbericht-Engpassanalyse-Methodische-Weiterentwicklung.pdf;jsessionid=CD82C3D46A10DCAB8F37B52A1563D743?__blob=publicationFile&v=9 (abgerufen am 29.04.2024)
[53] Bundesagentur für Arbeit (2024b): Engpassanalyse. Region: Deutschland – Berufsuntergruppen. Berichtsjahr: 2022. Online verfügbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Fachkraeftebedarf/Engpassanalyse-Nav.html;jsessionid=7A00626D8C71C66ACE9BF0A952A04B44 (zuletzt abgerufen am 29.04.2024)
[54] Bundesagentur für Arbeit (2024d): Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Berichte: Analyse Arbeitsmarkt, Gemeldete Arbeitsstellen. Januar 2024. Online verfügbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=analyse-d-gemeldete-arbeitsstellen (zuletzt abgerufen am 29.04.2024)
[55] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/159664/umfrage/hebammen-und-entbindungspfleger-in-deutschland-seit-2000/ (zuletzt abgerufen am 06.05.2024)
[56] DHV (2022): Zahlenspiegel zur Situation der Hebammen 04/2022. Online verfügbar unter https://www.unsere-hebammen.de/w/files/hebammentag-2022/zahlenspiegel_2022.pdf.
[57] Jahn-Zöhrens, Ursula (2021): Alles aus einer Hand. In: Deutsche Hebammen Zeitschrift (3). Online verfügbar unter https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/alles-aus-einer-hand/.
[58] Blum, Karl; Löffert, Sabine; Offermanns, Matthias; Steffen, Petra (2016): KRANKENHAUS BAROMETER. Umfrage 2016. Deutsches Krankenhausinstitut. Düsseldorf. Online verfügbar unter https://www.dkgev.de/fileadmin/default/2016_12_19_kh_barometer_final.pdf.
[59] IGES Institut (2019): Stationäre Hebammenversorgung. Gutachten. Online verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/stationaere_Hebammenversorgung_IGES-Gutachten.pdf.
[60] DHV; DGGG (25.08.2020): Kritik am neuen Gesetzentwurf (GPVG): 1:1-Betreuung in der klinischen Geburtshilfe notwendig. Berlin. Schönborn, Sara; Hohenhaus, Heiko; Mader, Katja, [email protected]. Online verfügbar unter https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/kritik-am-neuen-gesetzentwurf-gpvg-11-betreuung-in-der-klinischen-geburtshilfe-notwendig.
Welche Rechte haben Frauen eigentlich?
von Tara Franke
Frauen sind selbstbestimmte Menschen, deren Rechte auch während der Geburt nicht ohne zwingende Gründe wie schwerwiegenden Risiken oder lebensbedrohlichen Notfällen ausgesetzt werden dürfen. Dies fängt schon bei der Wahl des Geburtsorts an.
In Deutschland können Schwangere sich zwischen Hausgeburt, Geburtshaus, Hebammenkreißsaal und Klink entscheiden und haben das Recht, den für sie und ihre Kinder passenden Geburtsort zu wählen. Diese Wahl wird in Deutschland von schulmedizinischer Seite vielfach nicht als eine freie Entscheidung von Frauen mit unauffälligen Schwangerschaften betrachtet, sondern oft negativ dargestellt und als besonders risikobehaftet abgelehnt. Dies entspricht jedoch nicht fachlichen oder statistischen Realitäten.
Hebammen, die Hausgeburten und Geburtshausgeburten betreuen, haben immer wieder bewiesen, dass sie hochverantwortliche, leitlinienorientierte Entscheidungen auf Basis qualitätssichernder Standards treffen und damit eine sichere Begleitung gewährleisten, wie die Zahlen der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) belegen, die seit 1999 erfasst und seit 2015 verpflichtend geführt werden. Die wichtigste Motivation von Frauen und Paaren, zuhause oder im Geburtshaus zu gebären, ist der Wunsch nach Selbstbestimmung, s. Abbildung zu den Zahlen aus 2022:
Abbildung: Motivation der schwangeren Frauen zur Geburt im ambulanten Bereich (N=16.950)
Die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) verweist in ihrem in einem Positionspapier auf diverse Gesetze und stellt klar: „Im § 24f SGB V1 werden verschiedene Geburtsorte explizit aufgeführt. Die entsprechenden Erläuterungen stellen heraus, dass damit auch ein Anspruch auf eine außerklinische Geburt normiert wird. Das Recht der Schwangeren, den Geburtsort selbstbestimmt zu wählen, ist ebenfalls Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, welches in Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes2 verankert und zudem ein Menschenrecht ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat (…) die freie Wahl des Geburtsorts als eine Form der Ausübung körperlicher Autonomie anerkannt. Als solches ist das Recht auf die freie Wahl des Geburtsorts durch Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, geschützt.“[37]
Auch in der aktuellen wissenschaftlich fundierten „Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin“[38] wird ausdrücklich empfohlen: „Frauen sollen über die Möglichkeit unterschiedlicher Geburtsorte informiert sein. (…) Wenn mit einer Frau der Geburtsort besprochen wird, sollen persönliche Sichtweisen und Urteile bzgl. ihrer Wahl vermieden werden zugunsten objektiver Beratung.“ Dort wird das Selbstbestimmungsrecht der Frau – in jeglichem Geburtsort – betont, wie in der Empfehlung 3.4: „Alle Gesundheitsfachpersonen sollen jederzeit dafür sorgen, dass Frauen eine individuelle und respektvolle Betreuung erhalten, dass sie mit Wertschätzung und Achtung behandelt werden und dass sie selbst informiert entscheiden können.“ und 3.5: „Schwangeren sollen frühzeitig evidenzbasierte Information und Unterstützung angeboten werden, die sie befähigen, eine informierte Wahl hinsichtlich der Geburt zu treffen. Die Sichtweisen und Bedenken von Frauen sollen als integraler Bestandteil des Beratungs- und Entscheidungsprozesses anerkannt werden.“ Alle Informationen sollen zudem so vermittelt werden, dass sie für jede Frau immer möglichst gut verständlich sind.
Die in der Leitlinie verbriefte Selbst- und Mitbestimmung beinhaltet auch Entscheidungen wie die Wahl der Begleitperson(en), Essen und Trinken während der Geburt, das Vorgehen bei Terminüberschreitung, das Einverständnis zu vaginalen Untersuchungen, das Vorgehen in der Nachgeburtsperiode und allen anderen Diagnostika und Eingriffen. Situationen, in denen ein schwerer und hochakuter Notfall das aufklärende Gespräch und Einholen des Einverständnisses auf ein Minimum abgekürzt oder sogar ganz darauf verzichtet werden muss, kommen nur sehr sehr selten vor.
TIPP: Der aktuelle QUAG-Bericht für 2022 ist frei erhältlich („Qualitätsbericht 2022 Außerklinische Geburtshilfe in Deutschland“ [39]). Für Frauen und Paare, die sich weiter über die außerklinische Geburtshilfe informieren möchten, gibt es zum Thema zudem eine Broschüre der QUAG („Zuhause und im Geburtshaus“ [40]) sowie des Bundesgesundheitsministeriums („»Gesundheit rund um die Geburt“ [41]).
[37] DGHWi (2020). „Position der DGHWi zur außerklinischen Geburtshilfe“ https://www.quag.de/downloads/Positionspapier2020_001_DGHWi_au%C3%9Ferkl_Geburt_20200302.pdf
[38] AWMF 015-083 S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin, Kurzversion. https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-083k_S3_Vaginale-Geburt-am-Termin_2021-01_1.pdf
[39] https://www.quag.de/downloads/QUAG_Bericht2022.pdf
[40] https://www.quag.de/downloads/Quag-Zu_Hause_und_im_Geburtshaus.pdf
[41] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/Nationales_Gesundheitsziel_Gesundheit_rund_um_die_Geburt.pdf
Was bedeuten die aktuellen Arbeitsbedingungen für Familien?
von Lotta
Was bedeuten die aktuellen Arbeitsbedingungen für die einzelnen Familien?
Unsere Arbeitsbedingungen beeinflussen direkt die Gesundheit und Sicherheit der werdenden und jungen Familien in Deutschland.
Es geht hierbei also nicht nur um uns, sondern auch um euch ganz persönlich!
Die zwei größten Kernprobleme sind derzeit die Geburtsbetreuung und die Situation der Familien im Wochenbett. Beide werden im Folgenden erläutert.
Geburtsbetreuung
Durch die mit einem schlechten Betreuungsschlüssel geplanten – und noch dazu unterbesetzten – Teams in den Geburtskliniken müssen Hebammen nach einer Befragung von 2018 zu 64 % drei oder mehr Frauen parallel betreuen.[42] Das bedeutet, die Hebamme muss bei einer Geburtsbetreuung regelmäßig den Raum verlassen und zu einer anderen Frau gehen. Teilweise müssen die Bedürfnisse der Frauen und Kinder ignoriert werden, weil in einem anderen Raum die Hilfe gerade notwendiger ist (Triage).
Welche Folgen hat das?
Das bedeutet ganz konkret: Frau und Partner/Partnerin sitzen alleine im Kreißsaal und versuchen, mit der Situation klarzukommen. Die Hebamme steckt ab und zu mal den Kopf rein oder macht mal eben eine vaginale Untersuchung. Sie schaltet das CTG-Gerät um oder reicht ein Schmerzmittel, vielleicht eine kurze Unterhaltung und ein Abchecken der nächsten Schritte. Und dann ist sie wieder weg.
Die Konsequenzen für die werdenden Eltern?
- Gefühle von Unsicherheit, Ohnmacht und Ausgeliefert-sein
- Der Angst-Spannungs-Kreislauf beginnt
- Hilfreiche Anleitung kommt vielleicht zu einem späten Zeitpunkt
- Mangelhafte oder sogar fehlende Aufklärung, da die Zeit nicht ausreicht
- Zwischenfälle können nicht rechtzeitig erkannt werden
- (Übrigens fühlt sich damit auch die Hebamme nicht wohl)
Bedürfnisorientierte und persönliche Zuwendung? Fehlanzeige!
Ausführliche Informationen zu Abläufen und der Einschätzung der Situation sind sehr wichtig. Geburt ist etwas sehr Einmaliges, ein sensibles komplexes Geflecht. Und etwas Mächtiges. Geburt braucht einen geschützten Raum und liebevolle, zugewandte und bedürfnisorientierte Begleitung. Vertrauen und Ruhe sind essenzielle Bestandteile, damit die Gebärende sich wohl fühlt und ihr Körper Wehen produziert.
Wichtig ist beispielsweise auch die simple Anleitung zu Bewegung oder Atmung während der Geburt. Diese Unterstützung kann den Angst-Spannungs-Kreislauf unterbrechen und/oder sogar ganz verhindern. Eine Geburt ist umso schmerzhafter, je angespannter eine Frau ist. Dadurch wird der ganze Körper angespannt und fest. Bei einer Geburt muss jedoch alles weich sein. Ein Vergleich: Ziehen wir uns einen Rollkragenpulli über den Kopf, macht es einen großen Unterschied, ob dieser Pullover aus weicher Wolle ist oder aus Draht.
Beginnt dieser Angst-Spannungs-Kreislauf, kann es dem Kind durch angespannte Muskeln beispielsweise erschwert werden, sich in das Becken zu drehen. Oder es werden mehr Schmerzmittel gebraucht. Oder die Wehen nehmen ab. Und dann werden häufig medizinische Interventionen, also Eingriffe notwendig. Die Rate der Komplikationen steigt also.
Häufig zieht ein Eingriff den nächsten nach sich – die sogenannte „Interventionskaskade“. [43] Viele Hebammen sprechen davon, dass wir in den Kreißsälen mittlerweile viel selbstgemachte „Pathologie“ haben, also herbeigeführte Probleme und unschöne Geburtsverläufe. So steigt auch die Gefahr für traumatisierende Geburtserfahrungen.[44]
Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit für körperliche und psychische Langzeitfolgen für alle Beteiligten zu: Größere Geburtsverletzungen können lebenslange Einschränkungen nach sich ziehen und Störungen der eigenen Sexualität können die Partnerschaft stark beeinträchtigen – das kann auch die Angehörigen betreffen, die bei der Geburt dabei sind. Folgende Wochenbettdepressionen können zum Beispiel den Bindungsaufbau zum Neugeborenen erschweren. Durch Stillschwierigkeiten fallen vielleicht die positiven Effekte des Stillens, wie ein geringeres Risiko für Adipositas und ein stärkeres kindliches Immunsystem, weg. Das hat einen lebenslangen Einfluss auf das Neugeborene.
Nach außen hin mag es merkwürdig scheinen, dass eine Hebamme stundenlang neben einer Gebärenden sitzt. Sie nimmt jedoch viele Dinge wahr, wie beispielsweise die Atmung der Frau, die Gesichtsfarbe, den Schweiß, die Art und Weise, wie sich der Bauch während der Wehen verhält, sich verändernde Gerüche und welche Position die Frau wählt. All das sagt etwas über den Geburtsprozess und das Befinden von Mutter und Kind aus. So können Probleme frühzeitig erkannt werden und mit einfachen Mitteln gelöst werden. So kann beispielsweise eine andere Position fördern, dass das Baby besser ins Becken rutscht. Helfen kann auch ein kalter Lappen auf der Stirn, ein paar ermutigende Worte oder eine Schultermassage. Ist die Hebamme nicht anwesend, können diese Probleme nicht bemerkt werden und sich manifestieren.
Auch die bloße Anwesenheit einer zugewandten, liebevollen Hebamme stärkt die Frau und beruhigt sie. Nachgewiesenermaßen steigert eine 1:1-Betreuung die Sicherheit und die Zufriedenheit der Frauen mit ihrer Geburt. [45][46][47]
Wochenbettbetreuung
Durch zunehmend aussteigende Kolleginnen und den entstandenen „Hebammenmangel“ gibt es leider auch immer mehr Familien, die im Wochenbett komplett ohne Hebamme da stehen.
Das Wochenbett ist eine „heilige“ Zeit. Jede Störung sollte vermieden werden, um nicht nur die körperliche Erholung, sondern auch das Ankommen des neugeborenen Kindes und die sensible Phase des Zueinanderfindens der Familie möglichst zu erleichtern. Ein Teil davon ist der Aufbau der Stillbeziehung. Durch die Betreuung zuhause durch eine Hebamme sind Unsicherheiten schnell aufgeklärt und Wege zu Ärzt/innen auf das Nötigste reduziert.
Hebammenarbeit ist Präventionsarbeit und beugt vor! Weniger Milchstau, Beckenbodenschwächen und sich öffnende Nähte! Weniger Adipositas und kranke Kinder! Weniger psychische Probleme und dafür stabilere Paarbeziehungen!
Auch in der Schwangerschaft ergänzt die Hebammenbetreuung durch die salutogenetische – also den Fokus auf das Gesund sein und bleiben – Sichtweise perfekt die ärztliche Schwangerenvorsorge. So stärkt Hebammenbegleitung nachweislich die psychische Gesundheit der Familie und reduziert das Risiko für Frühgeburten und medizinische Eingriffe.[48][49]
Würde man Hebammenarbeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht bewerten, würde man folgendes sagen: Prävention kostet erstmal Geld. „Lohnt“ sich aber eben auf lange Sicht, weil sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Mutter, Kind und Partner/in gesund und gut zusammen ankommen. Das wünschen wir uns!
[42] IGES Institut (2019): Stationäre Hebammenversorgung. Gutachten. Online verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/stationaere_Hebammenversorgung_IGES-Gutachten.pdf, zuletzt abgerufen am 13.02.2024
[43] https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/interventionsrate-rund-um-die-geburt-too-much-too-soon/ (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
[44] https://mother-hood.de/aktuelles/gewalt-in-der-geburtshilfe-hunderttausende-betroffen/ (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
[45] Hebammenpräsenz und Qualität der Betreuung bei Klinikgeburten in Berlin: Ergebnisse einer Online-Befragung von Müttern / GMS Z Hebammenwiss 2019;6:Doc03
[46] https://www.unsere-hebammen.de/w/files/kampagnenmaterial/dhv_eins-zu-eins-betreuung.pdf (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
[47] https://www.unsere-hebammen.de/w/files/kampagnenmaterial/dhv_eins-zu-eins-betreuung.pdf (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
[48] https://www.dhz-online.de/news/detail/artikel/kontinuierliche-hebammenbetreuung-ist-sinnvoll-und-effektiv/ (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
[49] https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/darum-ist-die-betreuung-durch-die-hebamme-so-wichtig/ (zuletzt abgerufen am 01.05.2024)
Was kann ich tun, wenn ich keine Hebamme finde?
von Lisa
Immer wieder gibt es Situationen, Zeiträume und Gegenden, in denen es schwer ist, eine Hebamme zu finden. Problematisch gestaltet sich häufig die Ferienzeit im Sommer oder die Zeit über Weihnachten. Deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig in der Schwangerschaft um eine Betreuung zu kümmern, am besten, sobald die Schwangerschaft bekannt ist.
Was kann ich tun, wenn ich trotzdem keine Hebamme finde?
- Kontaktiere deine Krankenkasse: Schreibe einen Brief, eine Mail oder rufe deine Krankenkasse an und beschwere dich. Du hast ein gesetzlich verankertes Recht auf Hebammenbetreuung![50] Deine Krankenkasse muss dich bei der Suche unterstützen, denn es ist ihre Pflicht, diese Hebammenbetreuung für dich sicherzustellen. Das gesamte Problem kann erst sichtbar werden, wenn sich viele Frauen beschweren. Erst dann kann sich etwas verändern!
- Schaue auf den folgenden Seiten nach:
https://www.gkv-spitzenverband.de/service/hebammenliste/hebammenliste.jsp
oder über eine Suchmaschine deiner Krankenkasse.
- In einigen Regionen gibt es eine Hebammenzentrale. Melde dich dort.
- Frage deine Frauenärztin/ deinen Frauenarzt.
- Rufe Kliniken in deiner Nähe an und frage dort nach Hebammenbetreuung. Einige Hebammen hinterlegen in den Kreißsälen oder Wochenbettstationen ihre Nummer. Manche Kliniken bieten auch Notfallsprechstunden an.
Wir drücken dir die Daumen!
[50] § 24d SGB V; https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__24d.html, zuletzt abgerufen am 27.04.2024